ZUR PERSON
Name: Andrea Demmel
Alter: 43
Beruf: Zimmermeisterin und Restauratorin
Firma: Holzwerkstatt Hohenvolkfien GmbH
Im Wendland seit: 2001
Aufgewachsen und zur Schule gegangen in: München
Wohnhaft in: Küsten
Ausbildung: Zimmereiausbildung, Meisterschule, Fortbildung zur Restauratorin
Wie lange heute Morgen zur Arbeit gebraucht: 15 Minuten
Andrea Demmel mag Dächer. Und Herausforderungen. Mitten im norddeutschen Winter ein rundes Ecktürmchen auf ein riesiges, zweistöckiges Haus zu bauen, zum Beispiel. Um ihr aktuelles Projekt zu sehen, klettere ich die leicht schwankenden Treppen eines Metallgerüsts in Gohlau hinauf und werfe einen Blick hinter die knatterndn Bauplanen. Der Holzunterbau für das Türmchen ist fertig und mit einer schwarzen Abdichtungsmembran umspannt; die ersten Reihen der Dachpfannen sind schon an den horizontalen Latten befestigt. Die Pfannen sind flacher und kleiner als die üblichen und haben längliche Falzen. Pfannen der Art "Biberschwanz", mit denen das Dach ursprünglich gedeckt war - vor über hundert Jahren. Nur noch eine Firma aus Süddeutschland stellt diese Pfannen her. Die originalgetreu Arbeit ist den Bauleuten wichtig.
Andrea hat für heute Feierabend und zeigt nach unten auf eine Scheune, die sie und ihre beiden Kollegen als Materiallager benutzen. Dort setzen wir uns.
Andrea, hattest du schon immer Lust auf Baustellen?
Andrea Demmel: Irgendwie schon. Ich war als Kind schon ganz viel draußen, war bei den Pfadfinder*innen. Und ich habe mit meinem Vater viel gebaut und gebastelt. Ein ambitionierter Heimwerker, der immer alles selber gemacht und repariert hat. Mit Holz zu arbeiten, fand ich interessant, Mathe auch schon immer gut, vor allem Geometrie. Als ich mir verschiedene Berufsbilder durchgelesen habe, stieß ich auf eine Beschreibung zur Zimmerei und dachte: das passt super. Das will ich machen!
Kanntest du zu dem Zeitpunkt jemanden, der oder die das machte?
Nein. Über Ecken habe ich den Kontakt zu einer Zimmerin bekommen, die in Gartow bei Herbst gelernt hatte. Das ist eine Zimmerei mit eigenem Sägewerk, auch bekannt als Herbsthausen. Dort wurden jahrzehntelang Zimmerleute ausgebildet und fanden dort Arbeit. Dort habe ich dann ein Praktikum gemacht. Mit traditionellem Fachwerkbau wurde hier genau das gemacht, was ich lernen wollte. Die Sache war für mich damit klar.
Hast du dort auch deine Ausbildung gemacht?
Ich hatte mich noch bei zwei Zimmereien in Bayern beworben und hätte auch dort anfangen können. Ich habe mich aber für die Ausbildung im Wendland entschieden.
Du bist in München aufgewachsen. Hat dich dein Beruf ins Wendland geführt oder wolltest du eh hier leben?
Mir war die Region schon vorher ein Begriff aufgrund der Proteste gegen das geplante Atom-Endlager in Gorleben. Ich hatte auf jeden Fall vor, aufs Land zu ziehen. Und dann kam es so zusammen mit der Ausbildung hier.
Das ist ja nun schon über zwanzig Jahre her. Hast du auch mal Gegenwind erlebt als Frau in deinem Beruf?
Das ist eher eine Dauerbrise – es ist schon fast die Ausnahme, wenn das als selbstverständlich wahrgenommen wird. Hier im Wendland gab es schon mehrere Frauen*, die als Zimmerin arbeiten und die Zimmerei Herbst hatte auch schon lange Frauen ausgebildet und beschäftigt. Bis 1994 gab es in Westdeutschland ein Beschäftigungsverbot für Frauen* im Bauhauptgewerbe. Frauen* durften zwar die Ausbildung machen, wenn sie entweder danach studieren wollten oder den Betrieb vom Vater übernehmen - dafür gab’s eine Ausnahmegenehmigung. Aber man durfte nicht als Zimmererin beschäftigt werden. Manche Frauen haben sich dann einfach als Tischlerin anstellen lassen und arbeiteten auf die Art auf den Zimmereibaustellen. Also es gab schon immer die Nischen. Aber gesetzlich wurde das erst nach der Wende verändert. Heute werben die Handwerkskammern aufgrund des Fachkräftemangels um Frauen. Trotzdem ist die Quote bei knapp 2% Frauen im Zimmereigewerbe. Da ist also noch viel Luft nach oben!
Die Lehre dauert drei Jahre, richtig? Und dann ist man Geselle?
Genau, und mit Abitur kann man auf zwei Jahre verkürzen.
Du hast dann danach noch deinen Meister gemacht. War das von Anfang an dein Plan?
Nein, das hat sich so ergeben. Mit Unterstützung der Begabtenförderung konnte ich in Lüneburg die Meisterinnenschule machen. Das waren dann noch einmal neun Monate.
Was genau bedeutet es, Zimmermeisterin zu sein? Was hat es dir gebracht?
Als Meisterin kann man sich selbstständig machen und ausbilden. Und man bekommt mehr Einblick in Dinge wie Kalkulation, Statik, Zeichnen usw. Das Wissen kann man sich zwar auch durch Erfahrung aneignen – ich kenne viele Gesell*innen, die das genauso gut können. Für mich war es interessant, weil die Meister*innen-Ausbildung Voraussetzung für die Zusatzausbildung zur Restauratorin ist. Ich wollte ja Handwerk machen und in der Restaurierung wird man immer Handwerk machen können, selbst wenn der Rest des Baugewerbes irgendwann noch mehr industrialisiert wird.
Du bist ja seit vielen Jahren bei einer Firma angestellt, der Holzwerkstatt Hohenvolkfiien GmbH. Was macht ihr für Arbeiten? Hast du ein Lieblingsprojekt?
Wir machen Fachwerkrestaurierung, Dächer, Holzrahmen- und Fachwerkneubauten – eine klassische ländliche Zimmerei. Das ist sehr vielfältig. Ich mag gerne diese Herausforderung, vor allem bei Restaurierungsprojekten, dass man etwas vorfindet und mit den Gegebenheiten umgehen muss. Wie zum Beispiel bei diesem Turm hier – überhaupt bei dem ganzen Dach mit Gauben, einem neuen Unterdach, neuen Anschlüssen, einem Balkon und Reparaturen am Fachwerk. Oder letztens bei einem Eichenfachwerkhaus; das war ein ganz aufwendiges Gebäude und wir mussten uns vor Ort überlegen, wie wir das umsetzen, was der Eigentümer wollte. Es sind immer wieder spannende Projekte. Und ich mag es einfach gern, oben und draußen zu sein.
Wohnst du selber in einem alten Haus?
Ja, in einem alten Vierständer, bei dem in den Sechziger Jahren die Fachwerkwände rausgesägt und durch Mauerwerk ersetzt wurden. Das wurde damals so gemacht. Lediglich das Dachwerk und eine Innenwand ist noch bauzeitlich.
Hast du dann selber noch viel an dem Haus gemacht?
Ja, einiges. Der Hof ist ein selbstorganisiertes Projekt, ein Kollektiv, das einem Verein gehört. Wir wohnen dort mit vier Erwachsenen, plus ein Kind. Wir haben gedämmt, eine neue Heizungsanlage eingebaut, Fußböden verlegt, Wände verputzt, ein neues Bad eingebaut.
Wie würdest du das Wendland für Menschen beschreiben, die noch nie hier waren?
Es ist dünn besiedelt mit sehr, sehr kleinen Dörfern, was oft für Menschen aus anderen Regionen in Deutschland schwer vorstellbar ist. Es gibt viel Platz, viel Potenzial und es ist viel Arbeit – aber dafür hat man viele Freiräume. Es gibt hier die Möglichkeit, gesellschaftliche Prozesse anzustoßen und mitzugestalten, auch dadurch, dass man viele Sachen selber machen muss. Oder kann. Das ist ja auch ein Privileg, das zu können, Strukturen und Modelle auszuprobieren und zu gucken, was funktioniert. Ich bezahle zum Beispiel seit Jahren kein Geld für mein Brot und meinen Saft, weil ich dafür an anderer Stelle etwas anderes beitrage. Das wird gar nicht eins-zu-eins aufgerechnet, sondern es gibt Netzwerke von Menschen, die sich nach ihren Fähigkeiten einbringen. Mit der Zeit weiß man, wen man fragen kann und wo man was herkriegt. Das finde ich interessant. Und dass es viele Initiativen und viel Selbstorganisierung gibt, und dörfliche Strukturen – Feuerwehr, Dorfläden, solidarisches Landwirtschaften. Der Bauer, der seine Kartoffeln im Schrank hat, Eier im Kühlschrank an der Straße, die man dort einfach holen kann.
Für einen ländlichen Raum gibt es hier eine relativ große Vielfältigkeit von Menschen und Initiativen, sei es jetzt der Christopher Street Day oder das Compass Collective oder die verbrannten Orte. 2015, als so viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, wurde ja auch sehr schnell Zuflucht Wendland gegründet, um zu sagen, wir haben hier Platz, wir sind total privilegiert. Das alles ist natürlich auch anstrengend und bedarf manchmal auch Auseinandersetzungen und Kompromissen. Aber gerade wenn ich mir so die gegenwärtige Weltlage ansehe, die ja geschüttelt ist von Kriegen, Krisen, einem massiven Populismus und Rechtsruck, dann eröffnet das ja auch die Möglichkeit, anders im Gespräch zu sein und unser Zusammenleben anders zu gestalten. Und das finde ich sehr wichtig und notwendig.
Es klingt, als würdest du wieder hierherziehen.
Auf jeden Fall. Nur die Berge fehlen mir manchmal. Es ist wirklich reichlich flach hier!
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Das Interview führte Kerstin Lange im Feburar 2024 für Wendlandleben.
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