Alina Küper ist zweimal zugezogen: Das erste Mal als 7-Jährige; das zweite Mal nach dem Studium in Berlin. “Das stand nie außer Frage, dass ich hierher zurückkomme.” Ihr Beruf als Tierärztin gibt der 32-Jährigen ganz nebenbei Einblicke in die ländliche Gesellschaftsstruktur.
ZUR PERSON
Name: Alina Küper
Alter: Baujahr 1991
Berufsbezeichnung/Job: Praktizierende Tierärztin
Firma: Tierarztpraxis Dr. med. vet. Alina Küper
Im Wendland seit: Dezember 2021
Aufgewachsen: im schönen Beesem
Wohnhaft in: Beesem
Zur Schule gegangen: in Clenze und Lüchow
Ausbildung: elf Semester bis zum Examen und eine fast unanständig hohe Semesterzahl für’s Promotionsstudium "Die verschweigen wir lieber."
Wie lange heute Morgen zur Arbeit gebraucht: siebeneinhalb Minuten
Alina, wie bist du ins Wendland gekommen?
Alina Küper: Durch meine Eltern. Meine ersten sechs Lebensjahre haben wir am Bodensee gewohnt. Dann bekamen sie Heimweh nach dem Norden – mein Vater stammt aus Blankenese und meine Mutter kommt aus der Lüneburger Heide. Gemeinsam mit meinen Großeltern mütterlicherseits ist dann auf einem Resthof hier ein Multigenerations-Zuhause entstanden. Von der zweiten Klasse an ging ich dann hier zur Schule, in Clenze.
Wie hast du diesen Wechsel erlebt als Kind?
Ich fand es von Anfang an super hier. Das Grundstück war eine Riesenbaustelle. Der Vorbesitzer hatte hier eine Art Hotel. Das Haus musste komplett umgebaut werden. Alles war matschig. Meine Mutter hat ‘ne Krise gekriegt. Aber für mich war es ein Traum. Und dann kamen die Pferde mit auf den Hof – das war der absolute Pferdemädchentraum.
Ab wann war dir klar, dass du Tierärztin werden willst?
Pferde waren immer meine Leidenschaft. Ich kann mich an kaum einen Tag ohne Stallluft in der Nase erinnern. Kennst du diese Freundschaftsbücher aus der Schule? Da gibt es meinen Eintrag aus der Klasse 2a, Berufswunsch: Tierärztin. Eigentlich war damit alles gesagt. Die Lust an der Landwirtschaft kam dann noch dazu. In der Grundschulzeit war ich oft bei einer Freundin mit auf dem Milchviehbetrieb. So kam eins zum anderen. Es gab zwischendurch nur eine kurze Phase, wo ich mit Staatsanwaltschaft geliebäugelt habe. Große Reden und feurige Plädoyers – naja. Glücklicherweise hab ich statt des Praktikums im Amtsgericht damals meine zwei Wochen bei meiner heutigen Kollegin Heike Meywerk verbracht. Die hat mich wieder auf den richtigen Pfad geführt.
Du hast dann in Berlin Tiermedizin studiert, an der Freien Universität. Hattest du von Anfang an vor, ins Wendland zurückzukommen?
Ja, das stand nie außer Frage. Ich wollte immer hierher zurück. An dem Haus und der Region hier hängt mein Herz.
Aus der geräumigen Küche kann man auf den Garten blicken, eine Wiese, ein Nebengebäude und große Bäume. Wir sitzen in einer gemütlichen Nische am Tisch. Klobige alte Balken dienen als luftiger Fachwerk-Raumteiler und deuten auf eine frühere Wand hin. Alina hat einen Topfkuchen gebacken und Kaffee gekocht. In einer Ecke döst ein riesiger Hund, der offensichtlich ebenso an seinem Zuhause hängt wie Alina.
Ich hatte tolle Jahre in Berlin, war nach dem Studium noch länger in der Berliner Startupszene und an der Uni, bevor ich in zwei norddeutschen Pferdekliniken wertvolle Lehrmeister finden konnte. Dann hat sich rauskristallisiert, dass ich hier die Praxis von Dr. Harre in Granstedt übernehmen kann. Bei dem hatte ich mein Praktikum im Studium gemacht. Wir haben uns gut verstanden. Wir telefonierten vor zwei Jahren und da sagte er, eigentlich würde er gerne aufhören. Er ging auf die 70 zu. Jetzt nach zwei gemeinsamen Jahren habe ich zum 1.1.2024 die Praxis übernommen.
Wie war das Wieder-Ankommen im Wendland für dich?
Mein Zurückkommen hat sich ein wenig angefühlt wie eine Passage aus einem Juli-Zeh-Roman. Als ich hier weggegangen bin, war ich doch irgendwie eine von den Zugezogenen, obwohl ich hier groß geworden bin. Nicht, dass ich jemals seltsam behandelt worden wäre, das will ich damit auf keinen Fall sagen! Vielleicht ist das auch viel das eigene Gefühl. Zurückgekommen bin ich als Viehdoktor. Damit wird man plötzlich eingewoben in eine tiefere Sozialstruktur. Das ist schön und spannend und macht den Arbeitsalltag hier sehr angenehm.
Du hast ja nicht nur Tiermedizin studiert, sondern bist auch noch promoviert. Ist das normal, dass Tierärzte das machen oder hattest du besonders viel Energie oder Forschungsdrang?
Ich hatte einen Anflug von Wahnsinn (lacht). Nein, das war zu Anfang gar nicht meine Absicht. Also, das kam so: Vorm Staatsexamen macht man im Prinzip ein praktisches Jahr und rotiert durch die unterschiedlichen Aufgabengebiete, die man als Tierarzt eben abdecken muss. In der praktischen Arbeit habe ich gemerkt, dass der Kommunikation zwischen Tierärzten und Tierbesitzern in der Ausbildung viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Dann kam ich durch eine Verkettung von Zufällen an jemanden, der gerade in Berlin ein Startup gegründet hatte und der sagte: "Hast du nicht Lust, in der Richtung etwas bei uns zu machen, um den Informationsfluss und den Informationserhalt verbessern? Zum Beispiel eine Art elektronische Krankenakte mit Kommunikationstool entwickeln, die dem Tierbesitzer die ganzen Behandlungsergebnisse an die Hand gibt, damit das nicht nur beim Tierarzt liegt."
Erst dachte ich, das ist ja völlig verrückt, ich als Landpomeranze in so einem Entwicklungsunternehmen. Aber es gab nicht viel zu verlieren. Ich hatte das Studium in Regelzeit gemacht und war nie ein Jahr im Ausland oder so. Und in dieser Startup-Zeit habe ich extrem viel gelernt, was Marketing und Webdesign, aber auch moderne Unternehmensstrukturen und Mitarbeiterführung angeht.
Vor dem Studium war mir überhaupt nicht bewusst, was man alles machen kann mit dem Beruf – im Prinzip vom Bürojob über Forschungsreisen alles; die Welt steht einem offen. Die breite Öffentlichkeit hat häufig nur ein verklärtes und nicht selten wirklichkeitsfremdes Bild vom tierärztlichen Beruf. Ich glaube, dass das auch mit dem Nachwuchsmangel bei Tierärzten zu tun hat. Die Abwanderung von jungen Tierärzten in andere Branchen ist extrem hoch nach den ersten drei, vier Berufsjahren.
Aber du wolltest immer praktizieren – aber auch noch promovieren?
Ja, mich hatte dieses Kommunikationsthema gepackt. Ich bin – wieder durch einen Riesenzufall – an meine spätere Doktormutter geraten. Ich war zeitweise parallel zum Startup auch an der Uni angestellt. Das war eine tolle Zeit, super Arbeitsbedingungen, ein traumhaftes Team. Die wissenschaftliche Arbeit und die Lehre haben mir riesen Freude bereitet. Aber nicht mal das konnte mich überzeugen, dem Wendland und der kurativen Praxis fern zu bleiben.
Wie fühlt es sich an, eine eigene Praxis zu haben?
(Lacht). Ich hatte noch gar nicht so richtig Zeit, mich da rein zu fühlen. Ich freue mich da riesig drauf. Genauso wie mir klar war, dass ich hierher zurückkomme, war mir klar, dass ich nicht ewig als angestellte Tierärztin arbeiten möchte. Ich hab´ Lust, was eigenes zu machen, Dinge aufzubauen, aktiv zu gestalten und so zu machen, wie ich mir das vorstelle.
Und das Ziel, hier eine schöne Praxis und hoffentlich dann auch einen schönen Arbeitsplatz für weitere Tierärzte zu schaffen – als Angestellte oder als Teilhabende – das ist mein Lebenstraum. Andererseits nimmt man viel Geld in die Hand, steht plötzlich alleine da, mit der ganzen Verantwortung. Ja, das bedeutet natürlich einen gewissen Druck, aber es ist absolut auszuhalten. Die Freude überwiegt!
Ist die Praxis hier?
Ja, die Praxis ist jetzt hier beheimatet. Aber das heißt im Grunde nur, dass hier mein Büro ist. Ich bin auf Pferde und Rinder spezialisiert, also fahre ich eher zu denen, als dass die hier herkommen.
Alina steht auf, um mir ihr Büro zu zeigen, das gleich neben der Küche liegt. Der Hund steht ebenfalls auf – es ist eine Hündin, die auf den Namen Marlene hört – oder auch „die Dietrich“. Das Büro ist ein großer, lichter Raum, das Hauptmöbelstück ein Schreibtisch, auf dem ohne weiteres ein Pferd Platz finden könnte. Alina hat ihn selbst gebaut. Aus dem Fenster wieder der Blick auf den Garten und die Wiese.
Was bedeutet das Wendland für dich?
Das Wendland ist ein Lebensgefühl, finde ich. Ein Gefühl von Heimat – viele verbinden das mit Orten, manche mit Menschen. Für mich ist es wirklich das Gefühl, hier hinzugehören. Es gibt hier viel Freiheit. Jeder darf so sein wie er will, mit Ecken und Kanten. Das Wendland ist einfach wahnsinnig facettenreich. Es gibt ganz viele Leute, hinter denen so viel mehr steckt, als man beim ersten Blick meint.
Es gibt aber auch so eine Verbundenheit zwischen den Leuten; das Gefühl – das liegt jetzt vielleicht an meinem direkten sozialen Umfeld – dass man hier, wenn mal Not am Mann ist, damit nicht alleine dasteht. Ich habe hier keine Angst, einsam zu werden. Und wenn man mal allein sein oder ein paar Tage keinen Menschen sehen will, kann man das auch. Viele Leute haben das Gefühl, wow, das gibt es mitten in Deutschland. Alles kann, nichts muss!
Für mich ist das hier meine Energiequelle. Ich finde das alles hier unheimlich schön. Auch wenn es immer viel Arbeit ist, aber das empfinde ich nicht als Arbeit, sondern als Halt – in beide Richtungen, es hält mich und ich halte es auch.
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Das Interview führte Kerstin Lange im Januar 2024 für Wendlandleben.
Die Kampagne "Wenn Landärztin, dann Wendlandärztin" ist unter www.wendlandarzt.de zu finden.