Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Magazins Zero .
Was ich jetzt brauchte, war Hanf. Nein, nicht was Sie schon wieder denken!
Ich brauchte Hanf zum Abdichten meines Wasserhahns, der heutzutage übrigens gar nicht mehr „Wasserhahn“ heißt, sondern „Auslaufventil“. Paßt irgendwie zum Thema. Telefonbuch heißt „Fernsprechverzeichnis“, Briefmarke „Postwertzeichen“, und was früher verbrannt wurde, wird heute „thermisch behandelt“.
In Clenze war ich. Wo aber kriege ich jetzt in Clenze Hanf her? Der Klempner hatte mal wieder zu. Also dorthin, wo man so gut wie alles kriegt, zu:
„Klahn“
Diesem wundervollen, kleinen Laden, wo jeder, zumindest wenn er kurz nach der Mittagspause kommt, gleich beim Eintreten riecht, was es heute zu Essen gab (oder gerade noch gibt): ein Wohnraum liegt gleich neben dem Verkaufsraum. Heute gab’s, wenn mich meine Nase nicht trog, Erbseneintopf. Zumindest duftete es danach.
Der kleine Laden, ursprünglich auf Farben und Tapeten beschränkt, 1948 von den Eltern gegründet und 1986 vom gelernten Drogisten Hans-Walter Klahn übernommen, ist eine Wundertüte. Die Regale sind gerammelt voll, und nur Hans-Walter Klahn selbst weiß, wo genau was liegt, steht oder hängt: Neben dem Schmucktauchbad Wäscheleinen, nach Wahl Natur oder Plastik, daneben Servietten, Untersuchungshandschuhe, ein Pümpel, Kerzen, Mausefallen, Schmierseife, Körbe in allen üblichen Handelsformen und -größen, Parfums, Rasierwässer, Kleidungsstücke, die gereinigt wurden, Hornhauthobel, Tierpflegeöl, in einem großen Ständer Druckerpatronen, wahlweise original oder nachgefüllt, Pferdesalbe, Möbelpolitur, jede Menge Kerzen, Gardinenzubehör, Mottenköder, alle möglichen Besen, Windmühlenmesser, auf Wunsch rostfrei oder nicht rostfrei (das sind die noch schärferen), Schuhcreme, Ölofenanzünder, Adventskalender, Ringelblumensalbe (und zwar nicht nur irgendeine sondern die einzig wahre, die aus Thüringen), Bürsten, Bürsten und noch mal Bürsten, dann alle Zutaten, die man zur Weinbereitung braucht – und natürlich ein ganzer Nebenraum voller Farben, Tapeten, Spachtel, das gute, alte Ballistol, Pinsel, Kleber und Farbpigmente, die besonders zu Zeiten der Kulturellen Landpartie von vielen Künstlern nachgefragt werden – das ist aber noch lange nicht alles, und es ginge sicher schneller, das aufzuzählen, was es bei „Klahn“ nicht gibt.
Aber Hanf? Fehlanzeige! Der 65jährige Hans-Walter Klahn schüttelte den Kopf und war untröstlich: Hanf hatte er „leiderleider“ nicht. Und er war wirklich zerknirscht, das sah man ihm an. Als ich mich trotzdem bedankt und den Laden verlassen hatte und schon hundert Meter weiter war, hörte ich ihn plötzlich laut hinter mir herrufen. Da stand er vor seinem Laden, eine Hand mit einem aschblonden Knäuel hochreckend und schwenkend und sich freuend: doch, doch, er habe doch welchen, er habe ja seine privaten Bestände ganz vergessen! Und den Hanf könne ich gern einfach so mitnehmen.
Soll ich ehrlich sein?
Ich war den Tränen nahe. Und jetzt nennen Sie mir den Baumarkt oder den Internet-Versand, bei dem Sie (außer in der Werbung) so was schon mal erlebt haben! Es gibt sie kaum noch, diese kleinen Läden. Man bestellt heute lieber im Internet oder holt’s in riesigen Märkten.
Zugegeben: das ist bequem. Aber mal abgesehen davon, wie diese großen Versandhäuser und die dafür benötigten Logistikunternehmen ihre Angestellten behandeln und daß die großen Internetfirmen oft nicht mal Steuern zahlen: wenn ich die Lange Straße in Dannenberg entlanggehe, gerade jetzt, im Herbst, wenn es früh dunkelt, die Laternen an sind, und manchmal auch schon ein bißchen Nebel übers Kopfsteinpflaster wabert, dann fühle ich mich manchmal ein bißchen wie in Harry Potters Winkelgasse.
„Seifenhaus Erica“, „Heinrich Stolte“, Daubers Antiquariat, Tiedes Spielzeugladen mit seinen herrlich geschnitzten Tieren, Dennstedt und (jetzt auch hierher gezogen) das „Kaufhaus des Wendlands“ – mich würde nicht wundern, wenn am nächsten Haus „Ollivander’s - Fine Wands since 382 BC“ prangen würde.
Und natürlich kriegt man Seife auch im Supermarkt, vielleicht sogar ein bißchen billiger, aber nicht solche wie im:
„Seifenhaus Erica“
Allein die Verpackungen mancher Seifen sind so hübsch anzuschauen – richtige, kleine Kunstwerke – daß man immer gleich mindestens zwei von einer Sorte kaufen möchte, damit wenigstens ein Stück so bunt und schön verpackt im Badezimmer liegen bleibt. Es gibt weiße, gelbe, grüne, rote, blaue, orange, violette, ja, sogar schwarze Seife, wundervoll geformt, groß, klein, rund, eckig, aus Schafmilch, aus Olivenöl, und jede verströmt einen ganz eigenen Duft.
Das „Seifenhaus Erika“ wurde 1956 vom Vater der jetzigen Besitzerin, Waltraud Krenz, als Filiale des Hauptsitzes in Lüneburg gegründet – genau zur Heideblüte, daher der Name. Daß aus „Erika“ „Erica“ wurde, dafür zeichnet Waltraud Krenz verantwortlich, die das Geschäft seit 1969 führt: „Ich fand das schicker!“
Stolz ist Waltraud Krenz vor allem auf ihr Studio für Paßfotos im hinteren Raum, wo sie auch ihr Büro hat und sich ausruht, wenn im Laden Ruhe ist. „Einmal fotografiere ich sehr gerne“, sagt sie – dann lächelt sie verschmitzt, „und ich weiß sehr viel über Parfums. Ich kenne den Geruch unheimlich vieler Parfums. Und dann kommt einer und sagt, ich hatte bisher immer Soundso, aber das gibt es nicht mehr. Haben Sie da noch `ne Flasche von? Dann sag’ ich nein, aber ich könnte Ihnen etwas ähnliches empfehlen. Hab’ ich ganz oft Erfolg mit. Weil ich mich eben so gut auskenne. Und das macht mir wirklich auch Spaß.“
Was Waltraud Krenz gar nicht mag, sind arrogante Kunden, die aber selten sind. „Wenn die schon so mitleidig gucken: Ach, was für ‚ne kleine Klitsche hier!“ So einer wollte dann auch mal ein Parfum von 75 auf 50 Euro runterhandeln. „Da war ich kurz davor“, sagt Waltraud Krenz, „ihm zu zeigen, wo die Tür ist.“
Es gibt auch andere Kunden. Einer kommt mit dem Rucksack extra aus Hamburg, „weil’s so was in Hamburg nicht gibt“. „Das ist ein Herr“, sagt Waltraud Krenz, „so um die 60, der an einem Sonntag zu einer kulturellen Veranstaltung hier war, dann hat er meinen Laden gesehen, ins Fenster geguckt und war fasziniert von der vielen Seife. Montag drauf kam er wieder. Mit der S-Bahn, hat er gesagt, und hab‘ mir gestern die Nase plattgedrückt und bin heute wiedergekommen. Ich möchte gerne Seife kaufen. Dann hat er ganz viel Seife gekauft. Den ganzen Rucksack voll. Vier Wochen später war er wieder da. Ich komm’ mit der S-Bahn. Aber die Seife kann doch noch nicht alle sein. Und ob die alle ist! Ich hab’ ganz viel verschenkt. Die kommen dann wohl auch bald mal nach Dannenberg. Das hat mich sehr berührt und gefreut.“
Nur zwei Häuser weiter prangen schmiedeeiserne Buchstaben überm Laden:
„Heinrich Stolte“
„Ich heiße natürlich nicht Heinrich“, sagt Gisela Stolte und hat diese kaum merkliche und für sie ganz typische Andeutung eines Lächelns im Gesicht, „aber mein Großvater, der das Geschäft 1898 gegründet hat. Und mein Vater hieß auch so.“ Gisela Stolte führt den Laden, der offiziell für „Eisenwaren und Bastelbedarf“ (eine maßlose Untertreibung!) zuständig ist, seit 1975.
Das Angebot ist ähnlich umfangreich wie bei „Klahn“, doch hier liegt der Schwerpunkt auf hochwertigem Küchengerät und eben Bastelbedarf. „In Hamburg“, sagt Gisela Stolte, „wäre das hier bestimmt so `ne Art Kultladen. Man sieht ja von außen gar nicht, welche Wundertüte sich dahinter verbirgt.“ Der Vater war Schmiedemeister, und der Laden ist schon immer dabei. Neben Kutschen, die zur Aussteuer gehörten, gab`s hier Waschkessel, Schüsseln und Bestecke.
Besonders stolz ist Gisela Stolte auf ihr außergewöhnliches Geschenkpapier, das in einzelnen Bögen über einer Art Handtuchhalter hängt: Apfelsorten, Vögel, Schmetterlinge, Blumen, Bäume – alle mit Erklärungen und wunderhübsch anzusehen. Jedes Biologiebuch würde vor Neid erblassen. „Wir, die kleinen Läden“, sagt Gisela Stolte, „haben’s aber auch nicht leicht. Weil wir eigentlich viel größere Mengen einkaufen müßten, wenn wir nachher einen passablen Verkaufspreis machen wollen.“
Dennoch stimmt es nicht immer, daß im Internet alles billiger ist. Den Fleischwolf, den ich bei Gisela Stolte gekauft habe, gab’s im Internet tatsächlich für die Hälfte, aber die lederne Fliegenklatsche mit Buchenholzgriff kostet hier 6,95 Euro, ein Edelversand ruft fürs identische Stück 19,90 Euro auf – plus 4,90 Euro Versandkosten.
Es gibt, neben persönlichem Kontakt und Beratung, noch einen Unterschied zum Internet: Gegen Geldverdienen haben natürlich weder Herr Klahn, noch Frau Krenz, noch Frau Stolte etwas; aber sie würden nichts verkaufen, von dem sie nicht überzeugt sind, das sie nicht selbst ausprobiert haben und das sich nicht bewährt hat. Ihre Ware hat für sie nicht nur einen Preis, sondern auch einen Wert.
Sie fassen sie sogar anders an als Verkäufer im Supermarkt, wo alles wie Schutt aufs Laufband geworfen, über den Scanner gezogen und weggeschoben wird. Nur in der Werbung werden Pralinen von lächelnden Chocolatiers liebevoll von Hand gegossen, werden Lebensmittel geliebt und wird sich im Baumarkt geholfen. Man könnte dort kaufen, wo all dies nicht Lüge, sondern alltäglicher Umgang ist.
Wenn Waltraud Krenz, Gisela Stolte und Hans-Walter Klahn nicht mehr können, verschwinden ihre Läden. Dann werden, wie bei „Hettig“, „Gomm“ oder „Drogerie Müller“, von vielen, die sich aus dem Internet ernähren, wieder Krokodilstränen darüber vergossen, daß unsere Innenstädte veröden.
Früher war nicht alles besser. Und nicht alles, was alt ist, ist gut – dafür reicht bei mir der morgendliche Blick in den Spiegel. Trotzdem: In keinem dieser kleinen Läden bin ich beim Bezahlen jemals nach einer Paybackcard gefragt worden. Das allein ist schon ein Grund!
ÜBER ZERO
zero erscheint 10 mal im Jahr im Wendland. Im Winter und im Sommer gibt es Doppelnummern für zwei Monate: Juli/August und Dezember/Januar. zero wird kostenlos im Wendland und ausgewählten Stellen in Uelzen, Lüneburg, Salzwedel, Dömitz und an einigen Orten der Kreise Altmark, Uelzen und Lüneburg ausgelegt. Weitere Informationen zur zero.