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"Dinge möglich machen" mit Lisa Runde

"Dinge möglich machen" mit Lisa Runde

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Vom Wendland in die Welt und zurück: Über das Wiederkommen, Lüchows Pläne für eine Resiliente Innenstadt und die Kunst, im Wendland gute Jobs zu finden.

ZUR PERSON
Name: Lisa Runde
Alter: 44
Beruf: Projektmanagerein Förderprogramm "Resiliente Innenstadt"
Firma: Stadt Lüchow (Wendland)
Wieder im Wendland seit: 2017
Aufgewachsen: Nähe Lüchow (Wendland)
Zur Schule gegangen in: Lüneburg
Wohnhaft: Nähe Lüchow (Wendland)
Ausbildung/Studiengang: Kulturwissenschaften, Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder); Erasmus-Stipendium, Université Paris 8 (Paris); Modedesign, Universität der Künste (Berlin)
Wie lange heute Morgen zur Arbeit gebraucht: 15 Minuten

Kurz vor 9:00 Uhr an einem Freitag morgen: Im Lüchower Amtshaus ist alles still. Die meisten Verwaltungsangestellten, die ihr Büro in dem langgestreckten Fachwerkgebäude am Kopfende des ZOB hatten, sind in das ehemalige Gebäude der Volksbank gegenüber umgezogen. Ich klingel. Es summt. Die Tür öffnet sich.

Bisher haben Lisa Runde und ich nur telefoniert. Als sie mir im Flur entgegenkommt, ist mein erster Gedanke: “Die Brille steht ihr gut”. Nicht auffällig, aber geschmackvoll. Dass sie sich beruflich viele Jahre mit Brillen und Mode beschäftigt hat, erfahre ich im Lauf der nächsten Stunde.

Sie führt mich in einen hellen Raum mit hohen Fenstern, aus denen der Blick auf das neue Rathaus geht. Ein Detailplan von Lüchow nimmt gut die Hälfte einer Wand ein.

Lisa, du kommst ursprünglich aus dem Wendland, warst aber viele Jahre weg...

Lisa Runde: Genau. Meine Eltern sind in den Siebziger Jahren aus Berlin ins Wendland gezogen. Zusammen mit meinem Mann und einem ganzen Schwung aus unserem Freundeskreis bin ich nach dem Abitur nach Berlin gegangen. Dort war dann knapp 20 Jahre unser Lebensmittelpunkt, wobei ich auch zeitweise im Ausland gelebt habe – ein Jahr in Paris und zwei Jahre in Italien.

Wie kam es dazu?

Im Rahmen meines Bachelorstudiums der Kulturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder erhielt ich für ein Jahr ein Erasmus-Stipendium an einer Universität in Paris. Anschließend habe ich dann an der Universität der Künste in Berlin Modedesign studiert. In diesem Zuge absolvierte ich ein studienbegleitendes Praktikum in Italien bei der Gucci Gruppe. Ich war dort in der Produktentwicklung tätig, also nicht direkt im Design, sondern im Bereich “möglich machen”, Management im Hintergrund sozusagen: das Kleidungsstück entwickeln bis zum Showroom (Messe), wo die Einkäufer ordern. Und dann geht’s in die Produktion.

Nach dem Praktikum hat die Gucci Gruppe mir einen Arbeitsvertrag angeboten und so sind dann zwei Jahre daraus geworden.

Konntest du Italienisch?

Nein, gar nicht! Das war tatsächlich ein Schock, als ich in Italien ankam. Ich dachte, in einem internationalen Unternehmen werde ich wohl mit Englisch und Französisch zurechtkommen. Aber der Ort – Novara – lag in einer ländlichen Region und war umgeben von Risottoreis-Feldern. Neben uns war zwar Armani, aber daneben schon die Reisfabrik. Die Menschen, die dort arbeiteten, waren Näherinnen, Schnittmeister; die brauchten im täglichen Leben kein Englisch. Ja, und dann habe ich angefangen, auf eigene Faust Vokabeln zu lernen. Das war nicht einfach und am Anfang fühlte ich mich ziemlich isoliert, hat dann aber relativ schnell gefruchtet. Die Menschen in meinem Umfeld waren sehr zugewandt und freuten sich, dass ich Lust auf ihre Sprache hatte.

Danach warst du dann wieder mehrere Jahre in Berlin.

Genau, dort habe ich mich dann selbstständig gemacht im Vertrieb von hochwertigen Brillenfassungen. Dadurch war ich dann sehr viel unterwegs. Ich bin zu Optikern in Deutschland, der Schweiz und Österreich gefahren. Diese Tätigkeit habe ich auch vom Wendland aus noch eine Zeitlang weitergemacht, nachdem wir wieder her gezogen waren, aber mit der Verantwortung für Haus und Hof und Kind passte das viele Unterwegsein einfach nicht mehr in unseren Lebensstil.

Du scheinst sehr flexibel zu sein in Bezug auf dein Lebensumfeld: Wendland, Berlin, Frankfurt/Oder, Paris, das ländliche Italien. Hältst du dich eher für ein Stadtkind oder ein Landkind?

Für mich war immer klar, entweder ich lebe in der Stadt, und dann auch in einer großen Stadt, oder wirklich auf dem Land. Aber ja, ich würde schon sagen, dass ich ein Landkind bin.

Wie kam es zu deiner Rückkehr ins Wendland?

Da kamen mehrere Punkte zusammen: Erstens war das erste Kind da: Dadurch hat sich die Perspektive auf die Stadt verändert. Zweitens haben wir die Vorteile der Stadt nicht mehr so wahrgenommen, wie wir es viele Jahre getan hatten. Und ein starker Grund waren auch meine Eltern: die waren im fortgeschrittenen Alter und brauchten Hilfe.

Wir sind 2017 auf den Hof meiner Eltern zurückgekehrt. Das war dann auch ein gewisses Zurück zu den Wurzeln. Wir profitieren heute noch von vielem, was unsere Eltern in den 70er Jahren aufgebaut haben. 1977 haben meine Eltern zusammen mit Freunden den Waldorf-Kindergarten in Grabow mitaufgebaut – dessen Verein später um den Waldorf-Kindergarten Lüchow erweitert wurde. Den besucht nun unsere kleinere Tochter. Es ist einfach schön, wie sich das so fortsetzt. Für eine ländliche Gegend verfügt das Wendland über ein sehr diverses Kindergarten- und Schulangebot.  

Wie habt ihr den beruflichen Übergang geschafft?

Durch Netzwerken. Die Agentur Wendlandleben war da eine wichtige Anlaufstelle; Sigrun hat mir sehr geholfen. Es gab diese Willkommensfrühstücke – jetzt ist das abends und heißt Wendland 1x1 – da konnte man sich vernetzten und dann konnten wir auch gleich anderen helfen, die hier her ziehen wollten, zum Beispiel bei der Wohnungssuche.

Ich habe relativ schnell einen Job in der Logistik bei dem Trockenkräuterhersteller Steinicke gefunden. Das ist einer der großen Arbeitgeber im Wendland. Das war spannend: da werden die Container von dem Mini-Dörflein Seerau in der Lucie nach Kolumbien, in die USA, nach Neuseeland und Australien verschickt. Wir waren dafür zuständig, dass die Ware sicher ankommt, samt Kundenkommunikation und Erstellung der Zollpapiere. In den Jahren bei Steinicke konnte ich mich zur stellvertretenden Abteilungsleiterin hocharbeiten.

Das klingt nach einem richtig guten Job. Wie kam es, dass du hierher gewechselt bist, zur Stadt Lüchow?

Das kam, weil ich Anfang 2023 in der Elbe-Jeetzel-Zeitung geblättert und zufällig diese Ausschreibung für die Projektleitung für die Innenstadtentwicklung gesehen habe. Dafür hatte die Stadt Lüchow (W.) eine Millionenförderung aus EU-Mitteln erhalten. Das Förderprogramm nennt sich Resiliente Innenstädte. Die Stadt hat wirklich sehr großes Glück gehabt, denn eigentlich ist das Förderprogramm auf größere Städte angelegt. Uns wurden nicht so große Chancen eingeräumt.

Als ich die Stellenausschreibung sah, dachte ich: Oh je, das klingt leider sehr gut, das muss ich versuchen, sonst werde ich mich nachher ärgern. Die Stelle klang vielversprechend, spannend und auch sehr passend auf alles, was ich im kulturwissenschaftlichen Studium gelernt und anderen Projektmanagements gemacht hatte. Bei Steinicke hat man meinen Wechselwunsch absolut verstanden und so war ein angenehmer Abschied möglich. Mit Robert Lettenbichler, einem der Geschäftsführer von Steinicke, habe ich auch heute noch beruflich Kontakt. Robert ist Mitglied in der Steuerungsgruppe für das Projekt Resiliente Innenstädte.

Was genau hat die Stadt vor, um resilienter zu werden?

Das Projekt teilt sich in drei Leitprojekte auf: die digitale Bürgerbeteiligungsplattform ist im September live gegangen. Sie hilft uns, die verschiedenen Bedürfnisse und Ansprüche, die Bürger*innen an die Innenstadt haben, sichtbar zu machen und dann gemeinsam wierterzuentwickeln. Weiter sind die Schaffung einer menschenfreundlicheren Innenstadt durch Verkehrsberuhigung, Begrünung und mehr Raum für Aufenthaltsqualität rund um die Lange Straße sowie die Aufwertung der Grünanlagen in der Stadt geplant.

Die Handlungsfelder gliedern sich in soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte, die sich natürlich auch überschneiden. Von einer Umfrage im Jahre 2022 wissen wir, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger mehr Grünflächen wünschen – als innerstädtische Ruhe-, Begegnungs-, Spiel- und Freizeitflächen. Da bieten der Amtsgarten, die Bleichwiesen, der alte St. Annen-Friedhof und das Jeetzel-Ufer in der Wahrnehmung der Bürger*innen noch viel Potenzial.

Und das Ganze managst du? Hast du dazu ein Team?

Ja und nein. Für die Projektleitung bin ich allein verantwortlich. Jede im Förderprogramm teilnehmende Stadt muss eine Steuerungsgruppe einrichten. Diese Gruppe besteht aus Vertreter*innen der sozialen Bereiche, der Wirtschaft, der Ökologie und der Stadtpolitik. Die Gruppe kommt mindestens vier mal im Jahr zusammen und entscheidet, welche Projekte gefördert werden sollen. Die Geschäftsführung unser Steuerungsgruppe haben der Bürgermeister Torsten Petersen und die Unternehmerin Dorothee Herbst inne. Mit den beiden stehe ich in sehr engem Austausch. Meine Tätigkeit beinhaltet viel Kommunikation, Administratives, Abläufe koordinieren und Förderanträge bearbeiten.

Ich sehe da einen gewissen roten Faden: Du bist nicht die, die unbedingt ihren Namen auf dem Modelabel oder auf dem Firmenschild haben will. Du behältst hinter den Kulissen die großen Ziele vor Augen und machst gleichzeitig die Dinge möglich, durch die diese Ziele tatsächlich erreicht werden.

Genau! Das finde ich spannend und das macht mir Spaß.

Beim alten Rathaus hast du auch deine Finger im Spiel. Was passiert da?

Ich habe im Juli einige kreative Wendländer*innen ins leerstehende Rathaus in Lüchow eingeladen, um zu sehen, wie man die Räumlichkeiten noch nutzen könnte. Es gab sofort viele Ideen und wir haben die Gruppe "Zwischennutzung altes Rathaus gegründet". Anfang September lag dann ein umfrang- und ideenreiches Konzept einer Zwischennutzung vor, das Anfang Oktober dem Samtgemeidneausschuss präsentiert und positiv bewertet wurde. Jetzt finden dort erste Aktionen zur Neubelebung statt: Das Künstler*innenkollektiv "Nettwerk" bespielt vom 1. bis 10. November das Erdgeschoss als Ausstellungsfläche unter dem Motto "Viele Grüße, Dein Dorf“. Es wird Acrylmalerei, Fotografie, Installation, Musik, Objekt, Sketching, Tanz, Text und Zeichnung geben. Dazu wird ein vielfältiges Rahmenprogramm mit Veranstaltungen, Workshops und Ausstellungsführungen gezeigt - eine multimediale Dorf-Performance mit großer Eröffnung am 1.11. ab 17:00 Uhr. Die Ausstellung ist täglich von 11 bis 19 Uhr geöffnet.

Wie sieht der langfristige Plan für das Gebäude aus?

Nach den Wünschen der AG "Nachnutzung" soll das alte Rathaus künftig ein inspirierender und aktivierender Aufenthalts-, Lern- und Kreativort für alle Mitglieder unserer Gesellschaft werden. Ein Multifunktionsort mit mobilem Inventar in dem eine Bar, Bühne, Tische und Stühle und Stände je nach Nutzungswunsch variabel einsetzbar sind. Ein Café im Sinne eines Mitmachcafés für und von Jung und Alt soll zudem einen Ort zum Zusammenkommen für alle Generationen bieten. Außerdem sind Flächen für Kunst-, Tanz- und Gymnastikkurse, Vortragsveranstaltungen und eine Gemeinschaftsküche geplant. In zentraler Lage soll so ein offener, soziokultureller Ort zum Ausprobieren, Lernen und Zusammenkommen entstehen. Wer die Gruppe "Zwischennutzung altes Rathaus" kennenlernen will: am Sonntag, den 3.11. um 11 Uhr machen wir eine Ideenwerkstatt und Gesprächsrunde. Natürlich im alten Rathaus. Kommt vorbei!

Wie sind deine Gedanken über das Wendland? Was empfindest du hier als besonders?

Hier ist vieles möglich, oft auch schnell und unkompliziert. Wenn man von jemandem etwas möchte, dann heißt es nicht, wir können ja mal telefonieren und mal gucken, sondern dann heißt es: "Klar, komm doch vorbei." Es gibt eine schnellere Verbindlichkeit, eine Offenheit. Da ist so eine Authentizität, ein direkter, persönlicher Umgang. Das gefällt mir sehr.

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Das Interview führte Kerstin Lange im Feburar 2024 für Wendlandleben.
Nachträglich ergänzt wurde das Interview um aktuelle Antworten zur Nach- und Zwischennutzung des alten Rathauses im Oktober 2024 von Steffen Rudnik.

Mehr Infos zum Projekt "Resiliente Innenstädte" hier und zur Bürgerbeteiligungsplattform unter luechow-sei-dabei.de.

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